VON DER LEINWAND AUF DIE BÜHNE
„Frühstück bei Tiffany“, „Harold & Maude“, „Harry & Sally“, „Die Kinder des Olymp“, „Eine Mittsommernachts-Sexkomödie“, „Himmel über Berlin“, „Purple Rose of Cairo“ oder „Down by Law“. Sieben Filmstoffe, darunter vier deutschsprachige Erstaufführungen, sind es, die die beiden künstlerischen Leiter des Theatersommers Christiane Wolff und Peter Kratz sich mittlerweile auf die Fahne schreiben dürfen. Eine reife Leistung, zumal die Umsetzung filmischer Vorlagen auf der Theaterbühne nun nicht gerade ein einfaches Pflaster ist, verkehrt sie doch die oftmals fest in den Köpfen verankerte Vorstellung, der Film sei die ‚optimierte‘ Variante des szenischen Erzählens.
Seit des rasanten Aufstiegs des Films zum Massenmedium in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, toppen die Besucherzahlen der Kinos die der Theater mit links. Begründet wird dies unter anderem gerne damit, dass auf der (Mainstreamkino-)Leinwand – dank Montage und Kameraführung – oftmals spielend gelingt, was auf der Bühne wahlweise nicht intendiert, oder aber eine – nicht immer erfüllbare – Kunstform ist: die vollständige Illusion einer Realität, die den Zusehenden vergessen lässt, dass die dargebotene Welt nichts als die bloße Behauptung einer solchen ist.
Allzu gerne bemängeln kritische Stimmen also, mitreißende Filmwelten büßten in deren Bühnenumsetzung ihren Charme ein. Natürlich stellt die Adaption einer solchen Vorlage vor Herausforderungen, muss doch für jede, aus der Dramaturgie des Stoffes begründete, filmische Großaufnahme z.B. eine neue, theatralische Variante der Umsetzung gefunden werden, die sich klar von der Vorlage abzugrenzen und sie dennoch zu übersetzen versteht. Dass dies jedoch durchaus gelingen kann, darüber scheinen sich, wie ein Blick auf aktuelle Spielpläne beweist, mittlerweile Theaterschaffende wie Publikum einig zu sein.
THEATERSOMMER – FILMSTOFFE ALS IMPULSGEBER DES REPERTOIRES
Einer der Ersten die sich, 2002 mit „Down by Love“ nach Jim Jarmuschs „Down by Law“, der Herausforderung stellten, war der Theatersommer, welcher seither, neben Literatur und Theater, auch den Film zu den regelmäßigen Impulsgebern seines Repertoires zählen kann. Mit Erfolg, wie Besucherzahlen und Kritiken bestätigen und das, obwohl die künstlerische Leitung sich die berechtigte Freiheit herausnimmt, den Stoff nicht nur hinsichtlich der angesprochenen, zwingenden Übersetzung in ein anderes Medium zu bearbeiten, sondern auch das Drehbuch miteinzubeziehen, das meist weitaus mehr zu erzählen hat, als das filmische Endprodukt glauben macht.
Letztendlich kann die Entscheidung, das Spektrum um den Bereich „Filmadaption“ zu erweitern, als kluges Zugeständnis an die veränderten Rezeptionsgewohnheiten im Laufe der letzten Jahrzehnte verstanden werden. Während das Wissen um die Inhalte dramatischer Stoffe drastisch abnimmt, haben Filmklassiker wie „Frühstück bei Tiffany“, „Harold und Maude“ oder „Harry & Sally“ eine nachdrückliche Präsenz im kollektiven Gedächtnis. Was also in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch Goethes „Stella“ gewesen sein mag, eine Figur die im Laufe der Jahre zur Vertrauten wurde und in verschiedenen Inszenierungen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden konnte, ist (nicht nur) für die Generationen 40+ nun beispielsweise Capotes Holly Golightly. Zumindest beinahe, denn: Natürlich kommt dem Film seine Fähigkeit zur unerschöpflichen Reproduktion zugute. Ist man allerdings ehrlich – neue Blickwinkel ergeben sich, zumindest aus der Geschichte selbst heraus, auch bei mehrfachem Ansehen, nicht.
Hier setzten die Adaptionen des Theatersommers an, wagen bei der Inszenierung dieser „Klassiker“ neue, eigene Akzentuierungen und zeigen damit auf, dass auch die vertraute filmische eben nur eine Variante unter vielen ist, in/mit der sich die vertraute Geschichte erzählen lässt. Das Konzept erweist sich, nicht nur in Anbetracht des stetig wachsenden Publikums, als durchaus erfolgreich. Was den Theatermachern in der Gunst des Publikums zu Gute kommt, hat jedoch auch eine Kehrseite. So gelten gerade kleinere Freilichtbühnen häufig als gerne unterschätzte Underdogs, deren Wirken weit eher in der Unterhaltung, denn der Verhandlung gesellschaftlich relevanter Themenkomplexe beheimatet ist.
EINE KURZE GESCHICHTE
DES (FREILICHT)THEATERS
Bedenkt man, dass das erste geschlossene Theatergebäude Europas – das Teatro Olympico in Parma – erst im Jahre 1560 erbaut wurde, der Ursprung des europäischen Theaters jedoch bereits im antiken Griechenland zu finden ist, drängt sich die Frage nach dem Ursprung einer solchen Annahme geradezu auf. Denn die um 400 v. Chr. zu Ehren des Fruchtbarkeitsgottes Dionysos errichteten Bühnenanlagen, auf welchen Tragödien und später aufkommende Komödien die Bürger zu unterhalten suchten, waren: Freilichttheater. Der Idee, den auch heute noch gespielten Werken eines Euripides oder Sophokles die gesellschaftliche Relevanz absprechen zu wollen, würde wohl so schnell niemand verfallen.
Einen inhaltlich wie architektonischen Wandel erlebte das Theater anschließend unter der folgenden römischen Vorherrschaft. Hatten die Anlagen – bestehend aus der „Skene“, einem anfangs noch hölzernen Bühnenhaus, der ihr vorgelagerten Spielfläche „Orchestra“ sowie im Laufe der Zeit hinzukommenden, ansteigenden Sitzreihen dem „Theatron“ – in ihrer Beschaffenheit bis dahin die demokratische Kultur widergespiegelt, so wurden sie nun den Bedürfnissen der römischen Machthaber angepasst. Auch das Programm war dementsprechenden Veränderungen unterworfen, Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen traten in den Vordergrund und erwiesen sich als mit dem Aufbau der griechischen Theater als nicht kompatibel. Ab dieser Zeit begannen sich die Freilufttheater – selbstverständlich über weitere, hier unerwähnt bleibende Zwischenstufen – nach und nach in geschlossene Gebäude zu verwandeln.
Obgleich also das „Theater“, welches in der Antike ursprünglich lediglich den Ort der Aufführung bezeichnete, sich im Laufe der Jahrtausende immens veränderte, waren die grundsätzlichen Motive, die unter anderem den österreichischen Kaiser Joseph II 1776 zur Eröffnung des Burgtheaters trieben, denen der antiken Griechen und römischen Machthabern nicht unähnlich.
Im Falle des griechischen Dionysos-Kult galt es, die im Rahmen dessen zelebrierten, ausschweifenden Festakte der Landbevölkerung durch die Schaffung kultischer Spielstätten zu zivilisieren, in Zeiten des römischen Reiches das Volk dank „Brot und Spiele“ regierbar zu halten. Im Österreich des 18. Jahrhunderts war man bestrebt, dem subversiven Treiben der – im Wurstlprater und damit einem Park beheimateten – Narrenfigur des „Hanswurst“ Einhalt zu gebieten, und zeitgleich durch die Einrichtung eines, von der Krone kontrollierten, Theaters, „des sittlichen Bürgers Abendschule“, die Untertanen zu gesellschaftsfähigen Patrioten zu formen.
ZURÜCK ZUM KONTROLLVERLUST
Vielleicht (und das mag nun persönliche Spekulation sein) fruchtet im 21. Jahrhundert gerade diese stetige Zielsetzung eines moralischen Bildungsanspruches, welche bewusst das Vorurteil intendierte, künstlerisch wie inhaltlich wertvolles (und somit ‚bildendes‘) Theater sei an die architektonische Voraussetzung des geschlossenen, oder doch zumindest fixierten Raumes geknüpft, denn – und das war bereits den alten Griechen klar – ein solcher lässt sich beherrschen, die Natur hingegen tut es nicht.
Natürlich muss eine Inszenierung, die in stetigem Kampf um Aufmerksamkeit in Konkurrenz mit einer lebendigen und somit unberechenbaren Umwelt steht, unterhalten. Und natürlich ist der Umstand, dass etwas unterhält, noch längst kein Grund dafür, es nicht ernst zu nehmen – man denke an besagten, mundtot gemachten Hanswurst, der unter großem Gelächter pointiert politische Missstände anprangerte –, auch wenn die Intention der „des sittlichen Bürgers Abendschule“ in dieser Hinsicht schlagkräftigen Nachhall entfaltet und genügend Theaterschaffende wie -gänger sich in der Selbstwahrnehmung sonnen, ihr in deren Tradition stehender Kunstbegriff sei die einzige Variante, dem Theater eine Daseinsberechtigung zukommen zu lassen.
Und vielleicht (desgleichen hier) gelingt es aufgrund eben dieser Entwicklungsgeschichte gerade den, im Laufe der Geschichte unterdrückten Open-Air-Veranstaltungen – dabei ist es erst einmal gleichgültig, ob nun eine Bühne oder Leinwand in deren Mittelpunkt steht – selbst chronische Kulturmuffel hinter dem Ofen hervorzulocken. Einfach weil das, gedanklich oftmals an Theaterbauten geknüpfte Gefühl des moralischen Diktates hier hinfällig wird und die unter freiem Himmel inszenierten Welten auch räumlich wieder mit der des Alltages zu verschwimmen beginnen.
PERSPEKTIVE: HYBRID
Ob nun aber Blackbox-, Freilicht- oder Guckkastenbühne, die Einflüsse des Films sind aus dem heutigen Theater ebenso wenig wegzudenken, wie das Theater aus dessen Ursprüngen. Der Wunsch nach einer Illusion des Erlebens allerdings wächst mit den technischen Möglichkeiten, wie unter anderem die verstärkte Tendenz zu Experimenten mit 3D-Effekten nahelegt. Zusätzlich zur emotionalen strebt man nun auch nach der räumlich-plastischen Vereinnahmung des Publikums. Vielleicht ist der Schritt, Filmstoffe auf die Bühne zu bringen ja auch nur der erste von vielen, um irgendwann wiederzuvereinigen, was sich im Laufe der letzten 100 Jahre immer weiter voneinander zu entfernen schien.
Lena Fritschle – Absolventin des Masterstudiengangs Dramaturgie für Theater-, Film- und Neue Medien an der ADK BW