INTERVIEW

Interview mit dem Regisseur Peter Kratz

Nach „Kabale und Liebe“, „Don Carlos“ und „Wallenstein“ nun „Die Räuber“. Was ist so faszinierend an Schiller?
Peter Kratz: Ich kenne keinen anderen Autor, der Pathos, Leidenschaft, Kitsch, Tragik, Sehnsucht und Wut so genial in Worte und Dialoge fassen kann. Das fasziniert mich immer wieder aufs Neue.

Wenn ich an die Räuber denke, erwarte ich auf der Bühne eine Horde junger wilder Schauspieler. Die Besetzung dieses Stoffes mit zwei erfahrenen Schauspielerinnen und Schauspielern ist ungewöhnlich. War diese Besetzung ein Sachzwang, der mit den Wiederaufnahmen zu tun hatte?
Peter Kratz: Die Besetzung war von Anfang an Teil der Konzeption. Fernab jeder mir bekannten Interpretation stellte die Inszenierung einen älteren Schauspieler in den Vordergrund, der aus der Perspektive des gealterten Karl von Moor die Geschichte seiner Jugend erzählte. Dadurch bestand die Möglichkeit, Schillers Rollenkonzept von mehr als zwanzig Rollen vollständig aufzulösen, auf wenige Rollen zu konzentrieren und aus verschiedenen Perspektiven neu zu beleuchten. Für diese Reise ins Innere der Räuber brauchte ich unbedingt ein erfahrenes Ensemble und keine jugendlichen Draufgänger.

Was stand bei der Auseinandersetzung mit den Inhalten von Schillers Räubern im Vordergrund?
Peter Kratz: Einen neuen Blick auf das Stück zu werfen. Ich habe das Stück schon in vielen Varianten an anderen Theatern gesehen und mich ehrlich gesagt oft gelangweilt. Speziell in den letzten beiden Akten des Originals merkt man deutlich, dass es sich dramaturgisch um das Erstlingswerk eines Zwanzigjährigen handelt.

In der Theatersommer-Fassung werden Texte von Schiller mit selbst Verfasstem gemischt und es wird auch Zeitgenössisches zitiert. Das hat schon fast Tradition, und das Publikum empfindet diesen Schachzug als Bereicherung.
Peter Kratz: Bis auf den Prolog des alten Karl Moor, der die Zuschauer am Anfang auf die erzählerische Ebene der Inszenierung einstimmt, gibt es wenig selbst Verfasstes. Vielleicht noch einige kleine, freche Aussteiger, um den hohen Ton Schillers etwas zu brechen. Ansonsten haben wir nur Schillers Texte benutzt. Im zweiten Teil wurde kein einziges Wort dazugedichtet. Also 98 % Schiller pur!

Wie entstand das Gleichgewicht zwischen Tragik und Humor, ohne in die Persiflage abzugleiten?
Peter Kratz: Mit Selbstironie und Distanz. Wenn bestimmte Szenen aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar, aber trotzdem für die Handlung unverzichtbar sind, dann darf man auch mal bei einem ernsten Klassiker schmunzeln. Spannend wird es, wenn die Ironie unmittelbar von Tragik gebrochen werden muss. Dann braucht man ausdrucksstarke Schauspieler und überzeugende szenische Ideen.

Die Arbeit am Text war sicher außergewöhnlich anspruchsvoll. Hat das mehr Zeit und Nerven gekostet als sonst?
Peter Kratz: Speziell in „Die Räuber“ heben sich die manchmal ausufernden, aber im Kern immer genialen Sprachgemälde noch deutlich vom Rest des dramatischen Werks Schillers ab. Während der Probenarbeit war dies die größte Herausforderung für das Ensemble. Es bedurfte einer viel intensiveren Auseinandersetzung mit dem Text, bevor sich die Sprache Schillers so gefestigt hatte, dass sich die Schauspieler auf die eigentlichen Spielsituationen konzentrieren konnten.

In den „Räubern“ transportiert das Zusammenspiel zwischen der Musik und den Bildern die psychologischen Abgründe der Geschichte. In welchem Maß werden diese ungewöhnlichen Umsetzungen gemeinsam mit dem Ensemble entwickelt?
Peter Kratz: Bevor es mit der eigentlichen Inszenierungsarbeit losgeht, setzte ich mich intensiv mit dem Stoff auseinander. Diese Vorbereitung ist sehr vielschichtig. Vor diesem Hintergrund entsteht dann die komplexe Bearbeitung des Originals. Schon beim Schreiben der Adaption suche ich nach musikalischen Stimmungen, die mich inspirieren. Meist gibt es dann auch schon eine Idee für das Bühnenbild. Nach und nach setzen sich so erste Bilder und Stimmungen in meiner Fantasie fest. Wenn dann die Proben beginnen, geht es zuerst einmal darum, die szenischen Situationen zusammen mit dem Ensemble zu überprüfen. Das mache ich meist ohne Text, sondern konzentriere mich nur auf die psychologische Handlungsstruktur einer Szene. Schon hier spielt die Musik eine große Rolle, denn sie gibt eine Stimmung vor, die die Schauspieler im Glücksfall so stark inspiriert, dass der Kern einer Figur oder einer Szene emotional und körperlich erfassbar wird. Die eigentliche Probenarbeit besteht dann meist darin, die wahrhaftigsten dieser Momente wiederzufinden, sie zu differenzieren und mit dem Text zu verbinden. Deshalb arbeite ich am liebsten mit Schauspielern zusammen, die meiner Konzeption voll vertrauen und ihre ganze Kreativität in die schauspielerische Ausdruckskraft stecken.

Diesen Sommer konntest Du mit demselben Ensemble arbeiten, mit dem Du auch 2012 gearbeitet hast. Hat die Vertrautheit alle beflügelt? Wurden Grenzen überschritten, die man sonst nicht erreicht?
Peter Kratz: Es hat etwas gedauert, bis jeder Einzelne erkannt hat, dass durch die Vertrautheit mehr möglich ist als sonst. Da schließe ich mich mit ein. Am wichtigsten war jedoch die Gelassenheit. Durch den Erfolg von „Harry und Sally“ und „Kinder des Olymp“ musste niemand dem anderen etwas beweisen. Dadurch entstand eine konzentrierte, unaufgeregte Arbeitsatmosphäre. Speziell bei Schiller braucht man die, denn Schillers Sprache zu verinnerlichen, ist ein langwieriger Prozess, bei dem man leicht die Orientierung verlieren kann.

„Die Räuber“ waren als kleine, experimentelle Produktion geplant und der Erfolg hat alle überrascht. Warum hast Du mit diesem Erfolg nicht gerechnet und wie erklärst Du Dir diese Überraschung?
Peter Kratz: Die Rolle des jugendlichen Helden wird von einem fünfzigjährigen Schauspieler gespielt, der auch noch gleichzeitig den eigenen Vater darstellt. Dazu eine Räuberbande, die im wesentlichen aus einer Frau besteht. Eine maximale Reduktion des Textes und ein völlig neu interpretiertes Ende. Eine gewisse Skepsis war auf jeden Fall angebracht. Etwas unterschätzt habe ich vielleicht auch die innere Verbindung der Schwaben zu „ihrem“ Schiller. Darin liegt vielleicht auch eine der Ursachen, warum an Schillers „Die Räuber“ von Anfang an ein hohes Maß an Interesse und Aufmerksamkeit bestand, obwohl wir die Inszenierung als Theater-Experiment angekündigt hatten.

Was hat Dich als Regisseur an der Arbeit mit den Räubern und diesem Ensemble am glücklichsten gemacht?
Peter Kratz: Ganz egal, ob sich die Zuschauer an der Sprache begeisterten oder an der Neuinterpretation des Originals oder am intensiven Spiel der Schauspieler. Immer wieder war nach der Aufführung zu hören, dass die Inszenierung dazu anregte, das Gesehene mit dem Original zu vergleichen oder einfach nur mal wieder Schiller zu lesen. Am Ende siegte also das Theater und damit natürlich auch „unser“ Schiller. So soll es sein!

 

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