Gegenfrage: Was heißt denn Werktreue?

Interview mit Dr.Ulrich Steller
Autor und Texter

Ulrich, Du schreibst als „Textstratege“ viel über Filme und entwickelst Schul-Filmhefte zu großen Kinoproduktionen. Kündigt man Filme anders an als Theaterstücke?
Ulrich Steller: Grundsätzlich sehe ich da keinen so großen Unterschied. Es geht um die Darstellung einer dramatischen, packenden, bewegenden Geschichte. Das gilt übrigens selbst für den so genannten Dokumentarfilm. Beim Theater kommt allerdings dieses gewisse X noch dazu, das spannende Live-Element. Einen Theaterabend kann man daher streng genommen gar nicht ankündigen! Aber natürlich kann man über das Stück schreiben und über die Gedanken, die hinter einer Inszenierung stecken.

Die Texte für die Theatersommer-Programmhefte oder Internetseiten müssen immer schon fertig sein, bevor die Proben losgehen. Deshalb bist Du oft einer der Ersten, die eine Bearbeitung lesen und mit den Regisseuren über ihre Ideen sprechen. Wie gelingt es, die Intention einer Inszenierungsidee so früh in Worte zu fassen, die neugierig machen und noch Monate später Bestand haben?
Ulrich Steller: Kein Problem, als Texter hat man einen siebten Sinn für so etwas (lacht) … Im Ernst, das ist durchaus eine Herausforderung. Aber eine gute Bearbeitung lässt immer eine Handschrift erkennen, eine Richtung. So ähnlich, wie man beim Lesen eines gelungenen Stücks die Figuren fast vor sich sieht und sprechen hört. Darüber hinaus bin ich ja selber neugierig und stelle mir beim Schreiben Fragen, die sich die Zuschauer auch stellen. Ich kann dann immer kaum erwarten, bis ich es auf der Bühne sehe.

Irgendwann ist es soweit und Du siehst die Inszenierung, deren Intention du mit dem Text beschrieben hast. Nehmen wir mal die diesjährige Inszenierung von Schillers „Räuber“. War das Ergebnis so, wie Du es dir vorgestellt hattest?
Ulrich Steller: Ja und nein, es ist immer auch ein wenig überraschend, das macht ja genau den Reiz des Theaters aus. Die „Räuber“ sind ja ein so ergiebiges Stück und zugleich eigentlich unspielbar, außer wenn man kreativ mit der Vorlage umgeht. Dass das geht und wie gut das geht, hat der Theatersommer ja mit Goethe und anderen Großen schon oft vorgeführt.

In den Inszenierungen des Theatersommers wird der Originaltext oft stark reduziert und auf eine Kernaussage konzentriert. Dadurch entstehen oftmals neue Handlungszusammenhänge. In „Die Räuber“ wurde nach der Pause zwar Schiller gesprochen, aber die szenische Struktur des Dramas löste sich völlig auf. Wird da allzu leichtfertig mit der Werktreue experimentiert?
Ulrich Steller: Gegenfrage: Was heißt denn Werktreue? Erst mal, eine Inszenierung ist eine Inszenierung, so wie ein Konzert ein Konzert ist und keine Partitur. In beiden Fällen ein einmaliges, individuelles Erlebnis, eine Interpretation, das darf und muss so sein! Außerdem ist gerade ein großes Stück, großes Theater nicht an eine Epoche gebunden. Sondern es betrifft einen Kern des Menschlichen, der bleibt gültig. Wenn sich Molière für seinen Geizigen großzügig bei Plautus bedient, vertraut er doch genau darauf. Ein Stück anzupassen bedeutet in diesem Sinne genau dies: es fruchtbar zu machen.

Ein Schwerpunkt des Theatersommers sind Filmadaptionen. „Ein Mittsommernachts-Sex-Komödie“, „Himmel über Berlin“, „Kinder des Olymp“, „Down by Law“, „Harry und Sally“ oder „Purple Rose of Cairo“. Puristen mögen diese Mischung von Film und Theater nicht. Funktioniert die Theatervariante von Hollywood-Kino und Filmkunst auf der Open-Air Bühne in einem wildromantischen Garten?
Ulrich Steller: Absolut! Die Kunst dabei ist natürlich, nicht filmische Mittel zu imitieren, sondern Bühnenmittel einzusetzen. Nicht Filmschnitt, sondern Auftritte und Szenen. Nicht Kamera, sondern Spiel und Präsenz. Leicht gesagt, aber der Theatersommer kann außer auf viel Erfahrung einfach auf großartige Schauspieler bauen.

Ein besonderer Theatersommer-Moment, der Dir spontan einfällt?
Ulrich Steller: Diese Szene aus „Kalle Blomquist“: Tante Mia als verschrobene Esoterikerin. Meine Kinder spielen das heute noch nach!

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